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Home VI. Die Hocheisspitze Gratübergang nach der Hocheisspitze Geröllfahrt in's Hocheis
 H. v. Barth: Aus den Nördlichen Kalkalpen (1874)
 I. Aus den Berchtesgadener Alpen
 VI. Die Hocheisspitze

Charakteristik und Aussicht

Nachdem ich mein Gepäck abgelegt und das Fernrohr zurecht gerichtet, suchte ich mir ein Sitzplätzchen aus, eine wohl verdiente Stunde lang zu rasten. Der Gipfel verläuft gegen Norden alsbald in eine kaum fussbreite Schneide, welche senkrecht gegen Osten abstürzt, mit stark geneigtem Platt gegen Westen, den Sandreissen des Hocheis zu, sich abdacht; dort fand ich so meine volle Behaglichkeit; – auf dem engen Grate sitzend, die gekreuzten Füsse an den schrägen Platten hinunter streckend und über die Achsel weg in lothrechte Tiefe blickend, hatte ich die freie Luft in gewünschtem Ueberflusse. Eigenthümlich ausgeprägt erscheint die Stellung der Hocheisspitze als Eck- und Wendepunkt ihres Kammes. Schon die allernächste Fortsetzung des Gipfels wendet sich mit Entschiedenheit gegen Westen. In dieser Richtung sinkt der Grat hinab zu einem engen Sattel [Hochfeldscharte] und steigt sodann neuerdings empor zu einem schmalschneidigen, schartigen Felsenrücken*), welcher der Höhe des Hocheiskopfs ziemlich gleichkommen und das gewöhnlich erstiegene Kammerlinghorn noch überragen mag. Ein Name wurde mir für diese langgestreckte Zackenmauer, deren Scheitel in westlicher Richtung, den Verbindungsgrat von der Hocheisspitze herüber verfolgend, wohl zu gewinnen wäre, nicht bekannt; die Keil'sche Karte verzeichnet an ungefähr dieser Stelle ein "Hochfeld" – eine Benennung, welche auf das in Rede stehende Object sicherlich keine Anwendung finden kann.

*) {Es handelt sich hier um das Hinterberghorn (2487 m) und seine westliche Gratfortsetzung mit Hocheis- und Vorderberghörndl.}

Von Osten und Südosten herauf schliesst der Kamm, welcher den Süden des Wimbachthals begrenzt, mit seinen Dolomitnadeln an's Massiv der Hocheisspitze sich an. Ich mochte damals der Vermuthung mich zuneigen, dass sie auch von dieser Seite erstiegen werden könnte, wenigstens sah ich das gangbare Terrain sehr weit hinunter gegen den Eiblboden [Alplboden] sich erstrecken; als ich jedoch fünf Jahre später zum zweiten Male an den Ostfuss der Hocheisspitze gelangte, und nicht, wie das erste Mal, im dunklen Nebel zu ihrer Höhe emporblickte, überzeugte ich mich von der geringen Hoffnung auf Erfolg, welche ein derartiges Unternehmen hätte. In nördlicher Richtung verbindet die zerrissene Wimbachschneid die Hocheisspitze mit dem ersten Gipfel des Hochkalter-Kammes, dem Endpunkte der Flammelschneid [Steintalschneid] auf dem Hauptgrate, einem theilweise begrünten, pyramidalen Bergkegel**).

**) Die Keil'sche Karte bezeichnet ihn als Hinterbergkopf, ohne Höhenangabe. {Es ist dies das Steintalhörnl [2468 m]. Der Hinterbergkopf liegt südlich der Sittersbach-Scharte.}

Hinter ihm ragt der Endpunkt der Ofentalschneid als zerhackter Block auf dem Grate empor. Vor ein paar Jahren wurde die Uebersteigung der ganzen Kette von der Hocheisspitze bis auf den Hochkalter in Ausführung gebracht, eine in hohem Grade merkwürdige Partie.***)

***) {Im September 1871 durch Fünkh und Poeschl mit Kederbacher und Preiß. In Kederbachers Führerbuch (S. 29) ist darüber zu lesen: "Kederbacher führte uns auf die Hintere oder Östliche Hocheisspitze, auf das Hinterberghörndl, auf die Steintalschneid, um von da den Hochkalter zu besteigen. Zwischen den beiden Spitzen Hocheis und Hochkalter lag ein langer, beschwerlicher Weg, verbunden mit einem Nachtlager im Freien. Dieser von uns zuerst ausgeführte Weg wurde von unserem ersten Führer Kederbacher mit oft bewunderungswürdiger Fertigkeit aufgefunden. Wir können daher oben genannten Führer zu den riskiertesten Unternehmungen in der Alpen auf das wärmste empfehlen. Dr. Fünkh, Poeschl." – Die Tour wurde kurz vor dem 14. September 1871 unternommen, da das obenstehende Zeugnis "Frohnwies, den 14.9.1871" datiert ist. Unter "Hinterberghörndl" ist das heutige Steintalhörndl zu verstehen, die "Steintalschneid" Poeschls ist die Ofentalschneid. Die Einschaltung eines Freilagers ist damit bewiesen. (Vgl. Max Zeller, "Das Hochkalter-Gebirge", Alpenvereins-Zeitschrift 1915, S. 190/91). – Aus Kederbachers Führerbuch gehen noch folgende Ersteigungen in den Siebziger Jahren hervor: 8. Juni 1874 Robert Beck und Albert Kaindl, 6. September 1876 Albert Kaindl, mit dem neuen Niederstieg über den südlichen Absturz auf das Gamsfeld, über den Hochgang auf den oberen Karlboden, schließlich nach Hirschbichl. – 10. Juli 1878 Dr. J. Scholz – alle mit Kederbacher.}

Die weitere Aussicht von der Hocheisspitze, deren Gipfel eine Reihe höchst interessanter Detailbilder erschliesst, ist von keiner sonderlichen Bedeutung und steht derjenigen des Kammerlinghorns, welchem der freie Ausblick gegen Süden und Südwesten eröffnet ist, weit nach. Im Osten zieht namentlich der Watzmann mit seinen breiten, gestriemten Mauerflanken die Aufmerksamkeit auf sich, etwas südlicher die Gruppe des Hundstod und einige Partien des südwestlichen Steinernen Meeres. Die tiefe Senkung des Passes Trischübel läßt die Teufelshörner erscheinen, ein nadelscharfes Spitzenpaar. Ostwärts fällt der Blick in die Tiefe des Wimbachthales, und seinem Laufe folgend trifft er auf's grüne Thal der Achen und auf Berchtesgaden, enge eingerahmt von den Felsstöcken des Watzmann und Hochkalter. Den Norden erfüllen die dunklen Hochplateaus des Lattengebirges und des Untersbergs, den Nordwesten die Reitalm [Reiter Alpe] mit der stattlichen Hörnergruppe ihrer südlichen Randkante. Im Westen, wo breit das Hocheisthal sich öffnet, dominiren die Loferer Steinberge [Loferer und Leoganger Steinberge]; südlich decken die düstern, eisumlagerten Wände des Kammerlinghorn-Kammes fast die ganze Aussicht, nur die fernen Schiefergebirge des Salzachtales und über diesen die Tauren steigen über die schroffen Häupter dieser nahen Kette empor. – Das Hochkammerlinghorn, obgleich fühlbar tiefer gelegen, als die Hocheisspitze, scheint dieser gleichwohl an Höhe ziemlich nahe zu kommen.

Ich habe für die Hocheisspitze die Angabe der Keil'schen Karte mit 7748' 2517 m. adoptirt und glaube die Messung der gleichen Karte für das Kammerlinghorn mit 7644' 2483 m., mit welcher auch andere, z.B. Sendtner, übereinstimmen, auf das gewöhnlich erstiegene Kammerlinghorn beziehen zu müssen. Die Differenz zwischen diesem und der Hocheisspitze mit nur 104' [33 m] erscheint allerdings als etwas gering, doch gestalten sich die relativen Resultate auf dieser Basis doch richtiger, als wenn man die Höhe von 7644' auf das Hochkammerlinghorn bezöge****).

****) Bezieht sich aber die angegebene Höhe [von 7644 Fuß] auf das gewöhnlich erstiegene Kammerlinghorn, so fehlt auf der Keil'schen Karte auch jede Bezeichnung des Hohen als eines Culminationspunktes.

Eine von Gümbel ("Geognost. Beschreibung des Bayer. Alpengebirges") aufgeführte Messung von Senoner [Sendtner?] für "Kammerlinghorn, Hohes" mit 7878' 2559 m. scheint auf das Letztere sich zu beziehen, doch wäre im Falle ihrer Richtigkeit die Höhe der Hocheisspitze im gleichen Verhältnisse zu vergrößern. – Es ist am Ende kein Wunder, wenn mancher dunkle Punkt sich noch findet in einer so wenig bekannten und besuchten Gebirgsgruppe. Ist doch die Hocheisspitze selbst, ihr Culminationspunkt und Centrum, so verlassen und vergessen, dass ich nicht einmal ein Steinhäufchen, geschweige denn ein trigonometrisches Signal, auf ihrem Gipfel vorfand*****).

*****) {Die richtigen Höhen sind: Hocheisspitze 2523 m, Hochkammerlinghorn 2510 m, Kammerlinghorn 2485 m. Letzteres ist der als Aussichtspunkt gerne besuchte westliche Vorgipfel des Hochkammerlinghorns. Wie unbestimmt damals der Name "Hocheisspitze" gebraucht wurde, geht beispielsweise aus folgenden Stellen in Schaubachs "Die Deutschen Alpen" III (Jena 1865) hervor. S. 252 heißt es bei der Beschreibung des Klausbachtals: "Links sieht man abermals in einer Schlucht blauen Schnee, Kleineis genannt, worüber der Hocheisspitz aufragt, der Gebirgsstock, von welchem sich der hohe Felsrücken des Steinbergs von der Hauptmasse nördlich abzweigt." Bei der Behandlung des Wimbachtals (S. 252) sagt er: "Gegen drei Stunden zieht es hinan, zwischen dem Watzmann links und dem Steinberg rechts und im Hintergrunde ummauert von den ebenso steilen und kahlen Wänden des Hocheisspitzes, Palflhorns, Seehorns und großen Hundstods". Barth gebührt jedenfalls das Verdienst, in diese Verwirrung Klarheit gebracht zu haben. (Vgl. auch Max Zeller, "Das Hochkalter-Gebirge", Alpenvereins-Zeitschrift 1915, S. 189.)}


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Letzte Aktualisierung am 25. April 2021

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