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Home II. Die Schönfeldspitze auf dem Steinernen Meere Das Steinerne Meer Von der Salletalpe über den Schwarzensee, Grünseekaser und das "Feld" zum Funtensee
 H. v. Barth: Aus den Nördlichen Kalkalpen (1874)
 I. Aus den Berchtesgadener Alpen
 II. Die Schönfeldspitze auf dem Steinernen Meere

Wechselnde Gestalt seines höchsten Gipfels

Dagegen reiht Gipfel sich an Gipfel auf dem West- und Südrande des Steinernen Meeres. Ein zerhackter Grat säumt im Südwesten das weite Hügelplateau, begleitet seinen Rand bis hinaus zum südwestlichsten Eckpunkte, wo das Breithorn als Eckpfeiler des gewaltigen Felsenbaues frei vortritt, herrschend über die Thäler des Zellersees, von Saalfelden und Leogang; seltsam nimmt sie sich aus, diese lange Reihe unbekannter Hörner, sieht der Wanderer sie in weiter Ferne aus dem Meere von Stein sich erheben; schwärzliche Wandstufen an ihrem Fusse, an den Zacken ihrer Scheitel silbergraues Geplätt und Geschiebe, mit weissen Schneedächern untermischt, über ihre Flanken hingebreitet; unansehnlich mit Rücksicht auf ihre relative Höhe im Gipfelplateau, locken sie doch mächtig hinan zu ihren Gipfelzinnen, wohl lässt der blosse Augenschein beurtheilen, wie hoch sie stehen mögen über den grünenden Tiefen – und jenseite ihrer Kette liegt kein Steinernes Meer. –

Anders im Osten: da ziehen nach dem Höhenrande des Gebirgsstockes erhabene Felsenrücken hinan, tiefe und weite Thalungen, flachgerundete Plattenkare zwischen sich einschliessend, mit vorgestossenen Kegelhäuptern die Steilwände des Südens überschauend: Selbhorn, Brandhorn, Althaus [Marterlkopf] stellen da einer Ueberwanderung der Hügelflächen in Richtung auf die Uebergossene Alp als hohe Querriegel sich entgegen. Inmitten des Südrandes steht unsere Schönfeldspitze - ein kühner und dabei ungemein zierlich schlanker Gipfelbau, von welcher Seite immer sie betrachtet werden mag, aber wechselnd in ihren Gestaltungen mit dem Wechsel des Standpunktes ihres Beobachters; als fast regelmässige Pyramide erscheint sie ihm von Norden, so wie sie hinunter schaut auf den Königssee, hinaus nach Berchtesgaden und weithin ins Salzachland; ihre Grundmauern, steil, klüftig, schwarz und rothgelb gestreift, fussen in einem weiten, tief ausgehöhlten Kare des Steinernen Meeres; selten mag ein Sommer die Schneemassen dieses Felsenkellers aufzuzehren im Stande sein, bevor die weisse Decke von Neuem über ihn gebreitet wird. –

Ein aufgekrümmter, nordwestlich vorgeneigter Kegel entwickelt sich aus dieser Pyramide, zieht der Bergwanderer östlich an ihr vorüber, der Buchauer Scharte zu, welche den Uebertritt über den Gebirgsrand gegen Süden ihm ermöglicht, auf gebahnten Steige ihn hinunter leitet zum Wallfahrtsorte Alm [Maria Alm] am Urschlauer Bache [Urslauache]; unschwer wird ein berggeübtes Auge die Schwächen der sonst unnahbar erscheinenden Zinne von dieser Seite her erspähen, wird die Linie ihrer Ersteigung vorzuzeichnen im Stande sein. Und im Thale angelangt, welches die Bergstrasse von Hinterthal nach Saalfelden durchzieht, sieht er die Schönfeldspitze wieder als geradlinig gezeichnete Pyramide, nun aber entschieden vorgeneigt nach Westen, sanft von der Ostseite sich erhebend; kein Wunder, dass dem Pinzgauer ihre Ersteigbarkeit besser einleuchtet, als dem Berchtesgadener Alpenvolke. In den westlichen Strichen des Steinernen Meeres, auf den Gipfeln der südwestlichen Randkette, auf dem Pfade zur Weissscharte [Ramseider Scharte], dem zweiten Uebergangspunkte der Gebirgskante, zeigt die Schönfeldspitze sich als gebogenes, dünnes Horn, thurmsteil, unvermittelt durch seitliche Ausstrahlung hervorspringend; ein Riff im Meere, dessen Wellen in sanftem Schlage seinen Fuss umspülen; aber Täuschung ist das Schaukeln dieser Wogen; sie sind starr, unbeweglich, es sind Wellen von Stein.

Die Terrassenstufen des Steinernen Meeres, die Alphütten, welche ihre kümmerlichen Weideplätze bevölkern, dienen dem Bergwanderer zum Nachtquartiere, wenn er von Berchtesgaden, vom Königssee heraufgestiegen kam, und sein Trachten auf den Culminationspunkt des Steinernen Meeres gerichtet ist. Geradenwegs vom bewohnten Thalgrunde aus könnte man auch wohl von der Südseite, von [Maria] Alm oder Saalfelden aus steigen, doch sind Fälle derart äusserst selten; der Tourist, der einmal den Pinzgau gewonnen hat, kehrt nicht gerne mehr zurück nach einer Zinne der Kalkalpen, die er im Rücken gelassen; ihn zieht es beflügelten Schrittes hinein nach Fusch oder Kaprun, in die Firnzone, zu Höhen empor, gegen welche ein Steinernes Meer in bescheidenen Hintergrund tritt.


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Letzte Aktualisierung am 25. April 2021

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