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 H. v. Barth: Aus den Nördlichen Kalkalpen (1874)
 I. Aus den Berchtesgadener Alpen
 I. Die Südliche Watzmannspitze
 Beschreibung einer Tour auf die Südliche, eine Lücke in der Alpenliteratur [1868]

Geschröf, Grat und Gipfel

Nun dachte ich erst den bedeutendsten Schwierigkeiten zu begegnen, auf jene Hindernisse zu treffen, welche die Ersteigung der Südlichen Watzmannspitze zu einer so übelberufenen und selten ausgeführten machen; und auch der leichte Aufgang, der vom Schneesaume weg in die ersten Schrofenetagen sich bot, benahm mir noch keineswegs diesen Glauben; setzt doch oft ein starres Felsmassiv mit solchen zertheilten Fussstaffeln auf die Bergflanke nieder, um sich in der Höhe dann um so wilder zu trotziger zu gestalten. Aber ein Mauerwall um den anderen, Riffe über Riffe lösten in vereinzelte, durch Spalten und Geröllrisse getrennte Stöcke und Klippen sich auf, zwischen denen hindurch, theils kreuzend, theils lavirend ein geübter Bergwanderer ganz ungehemmt die ins Auge gefasste Pfadlinie verfolgen mochte. Ich machte mit jedem Schritte vorwärts mehr die Wahrnehmung, dass ich es hier mit einem geradezu harmlosen Felsgehänge zu thun hatte; und die gegebene Gewissheit, mein Ziel doch noch, wenngleich viel später, als ich gerechnet hatte, zu erreichen, schürte frisches Feuer in den halb erlahmten Gliedern. Schräg laufen die Felsbänke, die Klippenreihen und die Runsen zwischen ihnen zur Schönfeldschneid hinan; ich hielt mich zumeist in diesen trümmerführenden Rissen, in jedem derselben aber nur so lange, bis er den Zacken der Schneide selbst sich näherte, und damit ein baldiges Ende des gangbaren Terrains verrieth; denn der gezahnte Grat starrte immer noch wild genug auf mich herunter. Ich bog dann auf dem nächst sich darbietenden Felsgesimse um die Ecke der vorgerückten Schrofen, und konnte mit Gewissheit darauf rechnen, jenseits derselben eine gleiche und in gleicher Weise sich ausspinnende Runse zu treffen.

Durch die Steilmauern fortwährend vom Grate abgedrängt, aber immer nahe der Schneide gehalten, gewann ich zuletzt einen breiteren und tieferen Felsgraben, der den Körper des südlichen Watzmanngipfels und den zackigen Kamm, welchen dieser zur Griesspitze hinunter entsendet, von leicht der gerippten Westflanke der Schönfeldschneid abtrennt. In leicht gangbaren, geröllbedeckten Stufen mündet dieser Graben aus zum Hauptgrate und senkt sich andererseits tief hinunter in den Hintergrund des Kars des alten Schönfelds. Auf weitere Strecke hinab ist seine Gangbarkeit durch blossen Anblick zur beurtheilen; wenn nicht ein letzter Steilabsturz seine Sohle von den Schuttfeldern jenes Kars trennt, so würde sich hier zweifellos ein weit leichterer und kürzerer Weg auf die südliche Watzmannspitze bieten, als der von mir eingeschlagene. Wie oben bereits bemerkt, erfuhr ich in der Folge, dass in der That jener erstere Weg der bessere sei und der Augenschein mich nicht getäuscht hatte; freilich hörte ich dies erst vom Jäger auf Trischübel, während die ungenauen Erzählungen früherer Ersteiger der Südlichen Watzmannspitze eher auf das umgekehrte Verhältniss konnten schliessen lassen. –

Längs der Grabensohle, im rauhen Geschröf ihrer rechten Seite gehalten, stieg ich nun empor zum Grat; der letzte Zackenthurm der Schönfeldschneid drängte mit seinem Mauerfusse mich völlig in den Graben hinein; nur noch wenige Absätze waren zu bewältigen, und ich trat auf die breite Geröllwanne am Gratscheitel aus.

Tiefes Blau tränkt die Tiefe, in welche jenseits der Blick hinunter fällt; Königssee und Obersee liegen dem Auge gleichzeitig offen, vom ersteren der obere Theil zwischen St. Bartholomä, der Kaunerwand und der Sagereckalpe, und durch grüne Alpwiesen von ihm getrennt, im Dunkel seines Felsenrahmens der Obersee, in seinem Hintergrunde die Röthswand, mit den Silberbändern des Landthal- und Röthsbachfalles. Und von der Gratkante weg stürzen die Wände mehrere tausend Fuss tief in ein ödes, schneeerfüllttes Thal; dort sammelt der kleine Gletscher des Watzmannes seine Firne aus zwei getrennten Felsmulden, den Eisstellen, unmittelbar am Fusse seiner Südspitze, und dem Hocheis, das zwischen die Schönfeldschneid und die Hachelwand sich einschiebt. Dieser niedrige, aber äusserst schroffe Bergzug, welcher eine der schönsten Gebirgslinien in der Umrandung des Königssees bildet, löst von der Watzmannkette und von der äussersten nordwestlichen Ecke des Steinernen Meeres am Pass Trischübel gleichzeitig sich ab und scheidet das Bartholomäer Eisthal von dem einsamen Alpenthale der "Hachel", aus welchem man von der Unterlahneralpe durch die oft genannte Saugasse zum Steinernen Meere emporsteigt*).

*) In diesem Zweigkamme liegt, nahe am Pass Trischübel und von diesem aus leicht in kurzer Zeit zu ersteigen, die Hirschwiese [auch: Hirschwieskopf], wegen ihrer schönen Aussicht auf Hundstod, Hochkalter und Watzmann viel genannt und häufig besucht. {Schaubach schreibt davon in seinem Werke "Die Deutschen Alpen", III. Teil (Jena 1865), S. 242: "Der rundliche Felskopf, wo sich die Hachelwand am Felskamm des Watzmann anlegt, ist das Tabaksmandl".}

Eine kurze Gratstrecke noch trennte mich vom Gipfel [Schönfeldspitze = Watzmann-Südspitze]; die Zerrissenheit, welche die Schönfeldschneid bis hierher mir gewiesen hatte, erschien nun bedeutend gemässigt, der mässig breite Scheitel konnte von einem Felshöcker zum anderen ohne sonderliche Schwierigkeit überklommen werden. Ein einziges Mal noch stellte ein steiler Schrofen sich mir in den Weg, er war auf seiner Westseite leicht zu umgehen, noch einige Gratstufen, durchfurcht und zerbröckelnd, folgten auf ihn, dann löste Alles in wirres Getrümmer sich auf, und ein flachgewölbter Gipfelscheitel nahe vor mir, einen starken Signalpfahl tragend, verkündete die Erreichung des Zieles. Im Augenblicke, da ich dasselbe betrat, tauchte jenseits einer wild zerrissenen Gratstrecke, eine gewaltige, eckig unregelmässige Pyramidengestalt empor, die Nördliche Watzmannspitze; ihr war früher bereits ein Besuch abgestattet worden, und grüsste ich sie als alte Bekannte.


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Letzte Aktualisierung am 25. April 2021

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