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 H. v. Barth: Aus den Nördlichen Kalkalpen (1874)
 IV. Aus dem Quellen-Gebiete der Isar [Karwendel] [geographische Bezeichnungen sind noch nicht überprüft]
 XIX. Der Grosse Karwendelspitz [Östliche Karwendelspitze]

Eine Woche erfolgreicher Kreuz- und Querzüge

Und der andere Morgen war trüb und regengrau. Ich wartete einige Stunden, rüstete mich aber, da keine Besserung sich wahrnehmen liess, gegen 8 Uhr zum Aufbruche nach Hinterriss. Wer mir, als ich die Alpe verliess, hätte prophezeien wollen, dass ich mein Standquartier nach Wochenfrist erst wieder betreten würde!

Ich war noch keine halbe Stunde abwärts gestiegen, als die Wolkendecke sich zu hellen und zu brechen begann; noch wollte ich an solch' unerwarteten Umschwung nicht glauben, aber kaum war ich in's Johannesthal eingetreten, so schien das Himmelsblau durch die Wolkenlücken, entwischte Sonnenstrahlen spielten an den Gehängen der Berge umher, und die stolzen Felsenhäupter streiften das Dunstgewand in grossen Fetzen von sich. Frevel wäre es gewesen, unter solchen Aspecten in's Thal, in die Stube zurückzukehren. Um 10 Uhr war ich wieder auf dem Niederläger, und der helle Mittag und Nachmittag sah mich auf den östlichen Warten des Karwendelkammes, auf der Thorwand und dem Thalelespitz. Das Nachtmahl nahm ich wieder auf dem Niederläger ein, Nachtruhe aber suchte ich mir diesesmal auf dem Heuschober der einsamen Hochalpe der Passhöhe.

Am 6. Juli [1870] stieg ich bei unvergleichlich klarem Himmel durch das Schlauchenkar hinauf zum Birkkarspitz, dem Beherrscher des Quellengebietes der Isar, überwanderte den Grat der Hinterauthalerkette von dem dreigipfeligen Rücken des Oedkarspitzes bis zum Seekarspitz, von welchem das Nachmittagsgewitter rasch mich vertrieb, und stieg durch's Marxenkar hinunter in's Karwendelthal*). Am 7. Juli sass ich auf dem Oestlichen und Westlichen Wörner**), umringt von einer Schaar kleiner, umherziehender Gewitter. Ein 2stündiger Abendmarsch brachte mich hinaus nach Scharnitz, wo ich am 8. Rast hielt, mich, und, was vor Allem nöthig, mein Schuhwerk zu restauriren. Jeder Tag verlief damals genau wie sein Vorgänger, kein Nachmittag, der nicht ein scharfes Hochgewitter mit sich führte, kein Morgen, der nicht Sonnenglanz und blauen Himmel zurückgebracht hätte. Am 9. besuchte ich die Gipfel des südlich abgebogenen Endes der Karwendelkette, Brunnsteinkopf, Rothwandl- und Sitzelklammspitz, am 10. die schroffen Zinnen in der Umrandung des Kirchelkars und der Karwendelgrube: den Westlichen Karwendelspitz, den höchsten und äussersten der Karwendelköpfe***), den Linderstein und das Karwendelkreuz über Mittenwald. An beiden Tagen bezog ich Nachtquartier auf der Larchetalpe im Karwendelthale. Am 11. beschloss ich mit der schwierigen Ersteigung des Tiefkarspitzes****) meine Hochtouren im Karwendelkamme und wanderte am 12. über die Hochalpe in die Riss, am 13. über das Plumserjoch, über welches ich vor 17 Tagen gekommen, zurück an die Ufer des Achensees.

*) Eine Beschreibung dieser Tour siehe Ztschr. des D. A.-V., Bd. II, H. 1, S. 75-108: "Ein Tag auf den Spitzen der Hinterauthaler Kette".
**) Der Name Wörner ist bayerisch; tirolerseits heissen die beiden Spitzen Hochkarlspitz und Grosskarspitz.
***) Mit diesem Namen bezeichne ich, mangels einer bekannten Benennung, die vom Westlichen Karwendelspitz (Dall'Armi-Kreuz) nordwärts vortretenden scharfen Zacken, deren äusserster die Höhe des Karwendelspitzes nahezu erreicht.
****) Tiroler Benennung; die bayerische Bezeichnung für diesen Gipfel lautet, soferne ich die Mittenwalder Jäger recht verstand, "Hinterer Wörner". Er zeichnet sich im Panorama des Flachlandes durch seine schön regelmässige Pyramidengestalt aus.


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Letzte Aktualisierung am 25. April 2021

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