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Home XXVII. Der Ofelespitz im Berglenthal Ihre Aussicht Vorzeitiger Verlust des Stockes
 H. v. Barth: Aus den Nördlichen Kalkalpen (1874)
 V. Aus dem Wetterstein-Gebirge [geographische Bezeichnungen sind noch nicht überprüft]
 XXVII. Der Ofelespitz im Berglenthal

Abstieg in's Plattach und Angriff des Berglenspitzes [Öfelekopfes]

Die bedenkenerregenden Einzelheiten seiner Gestaltung hatten sich – leider – nicht als Schein, sondern als höchst unerwünschte Wahrheit herausgestellt. An der Steilstufe namentlich unterhalb des Gipfelshorns, vermochte das Fernglas auch nicht die Spur einer Rauhigkeit, eines Absatzes zu entdecken. Es kam auf's Experiment an, und zwar auf ein gewagtes Experiment. Punkt 12 Uhr verliess ich die Wettersteinwand; durch die Erfahrungen des Anstieges belehrt, schlug ich eine passendere Weglinie als die vormittägige nach dem Berglen-Plattach zurück ein und hatte bis dorthin auch keine Schwierigkeiten zu bestehen. Da ich den Hügelboden geradlinig nach dem Fusse des Ofelespitzes hinüber kreuzen sollte, so hielt ich mich an den Grasgehängen der Wettersteinwand möglichst lange über den Reissen des Berglenthals und betrat, einige plattige Runsen quer durch- und abwärtskletternd, seine Sohle erst in unmittelbarer Nähe der Wände des Mustersteins. Um 1/2 2 Uhr langte ich auf dem Thalboden an, eine Viertelstunde darauf stand ich an dessen südlichem Saume in unmittelbarer Fühlung mit den Strebepfeilen des Ofelespitzes. Auf den Hügeln des Plattachs war ich noch mit zwei Schafhirten zusammengetroffen, welche ich ebenfalls über den Gipfel befragte. Sie antworteten ziemlich unbestimmt, hinauf komme man schon, aber es sei "schiech". Ich hatte nicht viel Besseres erwartet, verliess mich überhaupt auf weiter Nichts mehr, als meine guten Eisen.

Zum ersten Anstiege hatte ich einen der östlichsten, vom Massive des Ofelespitzes in's Kar sich herabstreckenden Strebepfeiler zu wählen. Die Entfernung, welche alsdann bis zum Gipfel zu ersteigen übrig blieb, war allerdings in diesem Falle weit beträchtlicher, als wenn ich mitten in der Plattacher Wand angestiegen wäre, dort aber zeigten die Mauersockel sich allzu schroff und unangreifbar. Ich war bereits wieder an die ersten Spuren des Berglenthal-Steiges gelangt, als ich die erlesene Stelle erreichte, rechts ablenkte, eine Trümmerhalde und einen alten, in eine Kluft sich ausspitzenden Schneefleck kreuzte und wenige Minuten darauf mit dem Felsen in Contakt trat. Vereinzelte Grasschöpfe haften an seinem steilen Aufbaue, sie erleichtern das Emporklimmen, das gleichwohl bald ziemlich enge und luftig sich gestaltet. Alles Gepäck zurück zu lassen, war im Voraus beschlossene Sache gewesen, da ich jedoch eben mit den Hirten zusammengetroffen war und ihre Blicke mich jedenfalls verfolgten, so hielt ich es für vorsichtiger, den Rucksack nicht allzu sichtlich dme Schutze ihrer Ehrlichkeit zu unterstellen; trug ihn daher noch ein Stück weit aufwärts und barg ihn in einer Runse, wo ich zugleich die Eisen anlegte, einen letzten, kräftigen Zug aus der Wasserflasche that und einigen Schnee in dieselbe nachfüllte, um bei der Rückkehr neue Labung vorzufinden.

Fühlbar erleichtert nahe ich den Anstieg wieder auf; die Rinne, in welcher in das Gepäck zurück gelassen und welche ich, da sie verhältnissmässig gut gangbaren Boden wies, ihrer ganzen Länge nach verfolgte, leitete mich auf ein Sättelchen hinaus, von welchem der Anstieg sich wieder etwas nach der linken Seite kehrte. Ich nahte dadurch der Ostkante des Ofelespitzes und gewann auch häufig rechter Hand den Einblick in die tiefe, zum Kamine sich verengende Kluft, welche den Strebepfeiler an seiner Westseite begleitet. Bald über spärlich begrünte Platt-Felsen, bald im seichten Geschiebe enger Rinnen, bald wieder auf der zackigen Schneide niedriger Felsrippen verfolgte ich eine ziemlich gerade Anstiegsrichtung. Der Gang war steil, schwierig, bot aber durchaus nichts Ungewöhnliches und mein Vertrauen begann zu wachsen. Nach 20 Minuten weitete und verflachte sich das Terrain zu einem gewölbten Schuttplatze, wenige Schritte gegen Links brachten mich an den Rand der Terrasse; ein Schritt weiter in dieser Richtung wäre unmöglich gewesen; senkrecht stürzten die Wände hinunter auf die tiefen, bewaldeten Bergrücken, welche als Fundament des Ofelespitzes in's Leutaschthal sich hineinbreiten.

Ich wusste, dass ich dort nichts zu suchen hatte. Meine Aufgabe bestand darin, die Ostkante des Berges zu verfolgen; ihren Hindernissen und Unterbrechungen auszuweichen, musste auf der Nordwestflanke mir gelingen. Ich bog daher schwach rechts ab und begann am plattigen Gehänge weiter zu klettern. Die Vegetation erreicht bald ihr völliges Ende, in verhältnissmässig geringer absoluter Höhe. Der rastlos sich überschiebende Schotter lässt Leben hier nicht mehr gedeihen. Kahler Fels starrt von allen Seiten mir entgegen, bald als jähes Trümmerfeld, bald als durchfurchte Plattenmasse sich gestaltend, bald scharfzackige Mauerrippen, bald bauchige Wandstufen bildend, welcher zu weiter greifenden Umgehungen nöthigen. Die Wände, wleche infolge der beträchtlichen Ausdehnung des steilschrofigen Gehänges niemals sichtbar, selten nur die zerspaltenen Zacken, die Maueraufthürmungen der Gratkante über meinem Haupte.


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Letzte Aktualisierung am 25. April 2021

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