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Home XXIV. Ein Tag auf dem Plattacher Ferner Ein nicht erfülltes Versprechen Steile Stelle; Schuttfeld und Gipfel der Plattspitze
 H. v. Barth: Aus den Nördlichen Kalkalpen (1874)
 V. Aus dem Wetterstein-Gebirge [geographische Bezeichnungen sind noch nicht überprüft]
 XXIV. Ein Tag auf dem Plattacher Ferner

Scharte im Südwestrande des Platts; Anstieg an den Firnlehnen

Wie bei dem ersten Versuche, so wurde auch diessmal das Gepäck zurückgelaqssen; nur die Algäuer Eisen wurden vom Bergsacke genommen und an die Sohlen festgeschnallt. Leicht und elastisch wie eine Stahlfeder rücke ich zum Streite mit dem ungeschlachten Riesen vor. Der streckt seine zertheilten Schrofenrippen wie Polypenarme herab in's weisse Schneefeld. Ich spaziere erst gemächlich unter ihnen hin, eine schräge Linie durch die Fernlinie ziehend und packe sie dann in aller Mitte, wo vom Wetterwandeck aus die günstige Stelle ich erspäht. Hier geht's bereits steiler, haltloser, über die plattigen Wülste; wo Schneestreifen zwischen ihnen sich einschieben, da lassen sie enge und tiefe Spalten zwischen sich und den Wandstufen und manchen schlüpfrigen First des aufgeworfenen Schneebrettes überschreite ich langsam, Stufen tretend, den Stock gegen die Mauer gestemmt, schwarze Kluft zwischen Firn und Fels. Oberhalb dieser rippigen Zone gelangte ich wieder auf freien Schnee und eine letzte Ausspitzung dieses Feldes zeigte mir den einzig möglichen Weg nach dem Grate der Plattspitze und ihrem Gipfel.

Der Neigungswinkel nahm fühlbar zu, jede Stufe musste sorgsam ausgetreten werden, tief tappten die Hände im Schnee voraus. Ich hatte allen Grund, die Wahl der Tageszeit zu dieser Ersteigung, als eine glückliche zu preisen. In den kühlen Morgenstunden, wenn die Schneelehnen noch hart gefroren sind, wäre dieselbe unzweifelhaft weit schwieriger. Bald traten linkerseits die Felsen nahe heran, sie drängten mich in die höchste, den Grat berührende Schneerinne, die Steile überstieg nun bereits 45°, doch war ich dem Ende der Firnfelder nahe. Eine schmale, kesselförmige Ausbuchtung gewährte einen Ruhepunkt hart unterhalb des Grates. Etwa 20' [6 m] hoch lag dieser über mir; rechts brach er in senkrechter Stufe ab, in eine Scharte, die etwa 10 Schritte weit von mir entfernt lag. Die Bauart des nächsten, ihr entsteigenden Zackens liess deutlich genug erkennen, dass dort der Grat unmittelbar in die Steilwände der südlichen Gebirgsflanke übergehen. Ueber mir aber musste ich jetzt das Trümmerfeld haben, ich konnte es nicht sehen, aber ich hatte es gesehen vom Wetterwandeck aus und meine Ueberzeugung, an rechter Stelle zu sein, stand fest wie der Fels, an den ich mein Eisen bohrte.


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Letzte Aktualisierung am 25. April 2021

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