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An der Spitze einer Betrachtung über die Namen des Karwendels
kann füglich der altehrwürdige Name des Gebirges selbst
stehen, so wie er vom Volksmund aus der Urzeit seines Entstehens her
überliefert und entwickelt wurde. Doch – hier stock' ich
schon – das Volk kennt keinen Namen Karwendel für ein
Gebirge von dem gewaltigen Umfang der Gruppe zwischen Seefeld und
Achensee, Isar und Inn, es ist überhaupt nicht seine Art, so
große Räume zu überblicken. "Karwendel"
oder, wie man den Namen im Volk ausspricht "Garwendl,
Garwentl" ist bei ihm ein viel begrenzterer Begriff.
Wie die Namen vieler Gebirgsgruppen von einem Punkte ausgegangen
sind, der des Kaisers etwa vom "Hof hinter dem
Chaiser" 1280, der Name des Brennerpasses von einem seit
1290 dort nachweisbaren Hof- und Sippennamen "Brenner", so
galt bis in junge Vergangenheit "Karwendel" bloß
für ein Tal, das Karwendeltal bei Scharnitz – allenfalls
noch für das benachbarte Johannestal. Erst Hermann von Barth hat
den Namen in seinem heutigen, ausgedehnten Sinn verwendet. Bis vor
kurzem wollte man die Entstehung des Wortes bei der vorrömischen
Bevölkerung Mitteltirols, den Illyrern suchen, soweit man nicht
der naiven Ableitung "Kar-Wände" huldigte.
In Schwaigers Karwendelführer, Auflage 1921, wird im Anschluß an die Arbeiten A. Waldes noch die Herkunft aus einem von Walde lediglich vermuteten illyrischen Wortstamm "karavant" vertreten, daneben läßt man dort auch schon die Entstehung aus einem altdeutschen Personennamen Gerwentil gelten – aber seither hat die Geschichts- und Mundartfortschung ausschließlich für diesen letzten Namensursprung entschieden. Von 1280 bis 1436 läßt sich der Gebirgsname wenigstens sechsmal, und zwar stets als "Gerwendel", "Gerwentil" nachweisen, und diese Sprachform spricht gegen jene illyrische Ableitung.
Am frühesten, schon im Jahre 1280, kommt ein
"Perchtoldus Gerwendelaur" als Zeuge bei einem
Rechtsgeschäft zu Seefeld vor. (G. ist wohl als Gerwendelauer,
das ist Bewohner der "Gerwendelau" zu verstehen). 1305
beginnt die Grenze von Werdenfels "zu Gerbintla" und
schließt mit der "Gerbintla". Von 1500 ungefähr
ab ist dann in den Urkunden regelmäßig
"Garwendel" zu lesen, sogar noch im Jahre 1766, und
die heutige Mundart im Scharnitzergebiet hat ebenfalls an diesem
"garwendl" festgehalten. Man versteht diese
Umformung der Anfangssilbe "ger" zu "gar" richtig,
wenn man weiß, daß die westliche
bayrisch-österreichische Mundart in- und außerhalb der
Alpen, von Telfs bis etwa Weilheim gleichermaßen zu einer
Aussprache "ar" in Wörtern wie "Berg",
"Herz" (ma. parg, harts) neigt – so ist ja auch
unser "Garmisch" aus einem alten, "Germareskowe"
(803) = "Gau des Germar" hervorgegangen.
Mithin hat "Karwendel, Garwendel" in deutschem
Mund, nicht aus alter Illyrerzeit her, seine sprachliche Fassung
bekommen; an das Wort "Kar" ist der Name erst in der gerne
solche (platte) Deutungen gebenden Aufklärungszeit angelehnt
worden. Aus dem bayerischen Alpenvorland oder vom Alpenrand mag ums
Jahr 1000 oder noch etwas früher ein Baiware mit dem
kriegerischen Namen "Gérwentil", das ist
"Speerschüttler" – er deckt sich genau mit dem
Sinn des angelsächsischen "Shakespeare" –
gekommen sein und sich die Weideneien am Lauf jenes klaren
Kalkalpenbaches zu eigen gemacht haben, der später nach ihm
Gérbintla, Gerwendelsbach oder Gerwéndelsache hieß
– oder er mag auch schon die wilde Einöde am
Zusammenfluß dieses Seitenbaches mit der jungen Isar, nicht weit
von der heute noch bestehenden "Au am vorderen Gerwendel"
urbar gemacht und einen Hof gegründet haben, der später
Zwiselhof1), auch Karlingerhof, in
jüngster Zeit Schönwieshof genannt wurde und wohl der Sitz
jenes Perchtolds des Gerwendelauers war – eine zwar nicht sehr
hochgelegene, aber doch weltverlorene alte Schwaighofsiedlung in der
Wildnis des Kalkhochgebirges.
1) Zwisel hier = Flußgabelung, nämlich von Isar und Gerwendelbach