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Home III. Die Göllkette Hochscharte und Kuchler Göll; wahrscheinlich erster direkter Uebergang Abstieg durch die Hachel nach Alpwinkel
 H. v. Barth: Aus den Nördlichen Kalkalpen (1874)
 I. Aus den Berchtesgadener Alpen
 III. Die Göllkette

Der Erwartete auf dem Hohen Göll

Auf schütterem, schwach begrünten Gehänge hatte ich nun nach wenig Minuten meinen wohlverdienten Zielpunkt erreicht; dem Hohen Göll auffallend ähnlich, besteht auch der Scheitel des Kuchler Göll (7300' 2371 m. Keil) [ Hinteres Freieck; 2308 m] aus zwei flachen, durch ein schneeerfülltes Becken getrennten Kuppen; die nördliche, etwas niedrigere, vom Salzachthale aus allein sichtbare, trägt das Signal. – Ueber 3 Stunden hatte mein Uebergang vom Hohen Göll her gewährt; auf seinem im Osten mächtig emporragenden Rundgipfel gewahrte mein Fernglas jetzt Freund V., der fast zu gleicher Zeit, wie ich auf dem Kuchler Göll, dort angelangt war; im Einschreibbuche am Kreuze mochte er nun meine Aufzeichnung des heutigen Morgens lesen, mit der beigefügten Bemerkung, dass ich den Rückweg über den Brettriedel zu nehmen gedenke; das war seither anders gekommen, als ich gedacht.

Nach der Anstrengung des Gratüberganges vergönnte mir nun ein paar Stunden Ruhe in stiller Beschaulichkeit; der Rückweg kümmerte mich vorerst nicht viel, ich sah zwar gelegentlich zur Blüntau [Bluntau] hinab, auf die grünen Matten und ihre Alphütten, die in gewaltiger Tiefe zu meinen Füssen lagen, der grössere Theil meiner Aufmerksamkeit aber lenkte sich den Gebirgen des Südens und Ostens zu, den meilenweiten Hügelflächen des Haagengebirges mit den Schlummthälern, deren innerste Kare dem Einblicke nun geöffnet lagen, dem massigen Platau des Tännengebirges [Tennengebirge], den wunderlich geformten Zackenthürmen seiner Umrandung, welchen ich hier näher stand, als jemals früher auf meinen Wanderungen durch die Berchtesgadener Alpen. Leicht entschädigten diese Detailbilder für die Abschwächung, welche die Gesammtaussicht zufolge der geringeren Höhe des Kuchler Göll erfahren hatte; und doch wies auch diese weitere Rundschau ein Moment von hervorragender Schönheit auf, welches der Hohe Göll nicht in dem gleichen Maasse zu bieten vermag: den Ausblick gegen Norden über das Salzachthal, die breite, reichbelebte Thalebene, von den grünen Salzkammerguthsbergen in anmuthigen Wellenlinien begleitet – weit gegen das Flachland vorgeschoben der hochgeschwungene Rundkegel des Geisbergs [Gaisberg], an seinem Fusse das lebensfrohe Salzburg mit seiner uralten Veste; näher heran die gedrängten Häusermassen, die rauchenden Schornsteine von Hall, die bevölkerten Orte Kuchel und Golling. Dann schliesst das Thal mit dunkeln Waldhügeln; das breite Schuttband des Salzachbettes verengt sich zusehends und verschwindet in den Eingeweiden der Gebirge, die der wilde Strom durchwühlt, aus der Enge des Pass Lueg den Austritt in's Freie durch die Klamm der Salzachöfen sich erzwungen hat. Dumpf dringt das Rauschen und Brausen von dort herauf zur Höhe; und unter diesem Brausen fühlt das gespannte Ohr noch einen andern in intermittirenden Schlägen sich kundgebenden Wasserton, dessen Quelle näher liegt, als jenes Ausbruchsthor der Salzach; am Fusse des Gebirges, auf dessen Häuptern ich heute umhergeklettert bin, bricht die räthselhafte Wassermasse hervor, der hypothetische Abfluss des Königssees, stürzt der Gollinger Wasserfall seine Schaumfluth über zertrümmerte Mauern hinab, der Salzach zu.


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Letzte Aktualisierung am 25. April 2021

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