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Home VI. Die Hocheisspitze Im innersten Hocheis; wo ist die Hocheisspitze? Ersteigung und Enttäuschung
 H. v. Barth: Aus den Nördlichen Kalkalpen (1874)
 I. Aus den Berchtesgadener Alpen
 VI. Die Hocheisspitze

Ein neu erschienener Gipfel

Noch war ich im Zweifel, ob ich den wildgeformten Kegel unmittelbar an seinem nordwestlichen Wänden packen oder ob ich eine Umgehung versuchen sollte, und ich war für's Erste auch noch gar nicht veranlasst, eine entscheidende Wahl darüber zu treffen; im langsamen Queren der Geröllflächen, auf welchen jeder Zoll an Höhe mit unverhältnissmässiger Anstrengung gewonnen werden musste, hatte ich noch Zeit genug, darüber nachzudenken. Freilich gestalteten sich, je näher ich den zum Hocheis niederstürzenden Wänden kam, die Aussichten für ein Unternehmen von dieser Seite her immer ungünstiger: unveränderlich starr blickten sie von ihrer Höhe auf mich herunter, keine scheinbare Verkürzung und Erniedrigung vor den Anrückenden verrieth eine geminderte Steigung ihrer Höhenzone. Die eisgrauen, schuttgestreiften Firnlager ihrer dunklen Grüfte vermehrten noch das Abschreckende des gewaltigen Felsgerüstes.

Unter solchen Umständen war kaum eine andere Wahl zu treffen, als die, eine Umgehung nach der Gegenseite zu versuchen; immerhin kein sonderlich preiswürdiges Auskunftsmittel, wenn man letztere nicht genau kennt, und davon just genug gesehen hat, um zu wissen, dass ihr allgemeiner Charakter keineswegs ein friedfertiger zu nennen sei. Ich gab also die den Felshang kreuzende Marschrichtung auf, und wandte mich wieder zum geraden Anstiege; eine Gratscharte am nordöstlichen Fusse der breiten Gipfelpyramide bildete nun mein nächstes Ziel, sie sollte mir die Terrainverhältnisse der jenseitigen Gebirgsflanke enthüllen. Massiv übereinander gehäufte, röthlich gefärbte Schrofenstufen verlegten mir am Saume des Geröllfeldes den Weg und nöthigten zu einem steilen und stellenweise nicht ganz unbedenklichen Aufklettern; dann folgte wieder der lose Schutt, Haufwerk von grossen und kleinen Trümmern, Zackenriffe aus ihnen emporragend und meinen Weg zum zum Durchbruche des Gebirgsscheitels begleitend. Der Kegel, dessen Haupt ich zu gewinnen strebte, veränderte während all' dem kaum merklich seine Gestalt, nur dass seine mir zugewendete Nordostkante allmählig sich verkrümmte, als blickte er über die Achsel weg auf das Geziefer, das ihm zu Füssen da herumkrabbelte. Mir aber war es ein gutes Zeichen.


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Letzte Aktualisierung am 25. April 2021

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