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Am südwestlichsten Eckpunkte der Berchtesgadener Gebirgsgruppe, wo der Pass Hirschbühel [Hirschbichl] die Fahrstrasse in steilem Zuge hinüberleitet in's Saalachthal, wo funkelnder Wein, dem Gaste am Zollhause kredenzt, den Austritt aus dem bierbrauenden Bayernlande verkündet, da steht noch ein hoher, weitverzweigter Felsenbau, so dunkel unbekannt und unbenannt in seinen innersten Centren, als zahllos das Völkchen der Touristen um seinen leicht zugänglichen Endpunkt herumwimmelt. Wer kennt nicht den Namen Kammerlinghorn?
In flachem Dreieck dacht seine Westflanke sich ab zum Hirschbühl, der Zickzackpfad leitet den bergunkundigen Fuss leicht empor über Alpenweiden, durch buschiges Gehänge. Drunten in der Tiefe liegen auf saftgrünem, wellig gefalteten Weidenteppich die Kammerlingalpen, jenseits des Weissbachs ragt die isolirte Pyramide des Hochkranz empor, umschürzt mit Alpenmatten. Im fernen Süden blinken die Gletscher der Tauren. An den Zackenthürmen der Mooswand vorüber, über Getrümmer zur Stufe des Karlbodens und mit langwierigem Anstiege über zwei schräge Terrassenabsätze, wird das Karlhorn [Karlkogel] und Kammerlinghorn gewonnen – der Gipfel. Ja, der Gipfel; aber wieder ein Gipfel im Genre der "Vorderen Watzmannspitze." Die constante Steigung des Bergrückens ist zu Ende, sein erster Scheitelpunkt ist erreicht, aber der Scheitel selbst setzt höckerig gegen Osten sich fort. Etwa 20' [6,4 m] unter dem Kammerlinghorn bildet er eine etwas geneigte, klüftige Plattenfläche; auf dieser fusst mächtig gross ein zuckerhutartiger Felskegel, jäh abgerissen von allen Seiten. Hier steht der Gipfel; dem Besucher des Kammerlinghorns weist er die ausgenagten Schrofenzähne, ruft ihm ein stumm-allmächtiges "bis hieher und nicht weiter" entgegen. Und wendet jener fragend sich an seinen Führer, was des wilden Gesellen Name sei, der so überraschend, trotzig ihm hier in den Weg tritt, so zeigt er ihm das Signalstängelchen auf dem anscheinend unnahbaren Felsenhaupte und zeigt ihm auf dem Grate und an den Nordwänden stellenweise eine Daube; erzählt ihm, dass vor wenigen Jahren erst der Uebergang vom Kammerlinghorn auf die "Hocheisspitze" [Hochkammerlinghorn] sei ausgefunden worden*), und stellt ihm den übergewaltigen Nachbar in bester Form als die Hocheisspitze vor. Aber gemach! nicht als hervorragender Gipfel allein, sondern auch orographisch hat die Hocheisspitze ihre Bedeutung: von ihr als Eckpfeiler strahlen der Wimbachkamm gegen Osten, der Hochkalterkamm gegen Norden, der Kamm des Kammerlinghorn gegen Westen aus.
*) Seine Entdecker sind die gleichen Männer, Breisen und Kederbacher, Holzknechte aus der Ramsau, welche auch von der Nördlichen auf die Südliche Watzmannspitze den ersten Uebergang wagten. Kurze Zeit darauf besuchte ich ebenfalls das Hochkammerlinghorn, wobei die Dauben, welche meine Vorgänger gelegt hatten, mir bei Aussuchen des Pfades gar wohl zu Statten kamen. Es ist eine in jeder Beziehung schwierige Tour. – Bei meinem Besuche der Eiblscharte [Alpelscharte] im Jahre 1873 sah ich zu meinem nicht geringen Erstaunen Gestalten auf dem Hochkammerlinghorn, und mit noch grösserer Verwunderung hörte ich Abends in Hirschbichl, dass es ein fremder Tourist gewesen sei, welcher die Besteigung unternommen. Ob sie seit dem Jahre 1868 öfter in Ausführung gebracht wurde, ist mir nicht bekannt, ich erfuhr bei meinem jüngsten Besuche nur, dass Breisen und Kederbacher von Ramsau immer noch die Einzigen seien, die auf jenen Gipfel – sie gehen nicht davon ab, ihn "Hocheisspitze" [Hochkammerlinghorn] zu nennen – zu führen wüssten. Diese Beiden hatten auch den genannten Touristen geleitet.
{Es war dies Georg Hofmann mit Johann Grill (Kederbacher) am 21. September 1873, wie dem Führerbuch Kederbachers (S. 45) zu entnehmen ist. Die beiden gelangten in 23 Minuten vom Kammerlinghorn auf das Hochkammerlinghorn. Die dritte Besteigung vom Kammerlinghorn aus (die erste nach Barth) unternahm Josef Poeschl mit Kederbacher im Sommer 1870. R. Ißler schreibt in seiner "Neuen Deutschen Alpenzeitung" (Band I, 1875, S. 9) von einer Besteigung des Hochkammerlinghorns am 10. August 1871 mit dem Führer Josef Grafl und bemerkt S. 10: "Es mag hier erwähnt sein, daß unsere Besteigung die dritte überhaupt war." Das ist irrig, denn in Kederbachers Führerbuch S. 15 findet sich der eigenhändige Eintrag von Josef Poeschl vom 7.3.71: "Sommer-Turen 1870: 1. Hocheisspitze – Hochkammerlinghorn (3. Besteigung desselben vom Kammerlinghorn aus)." Grafl fand 1871 auf dem Gipfel in einer Steinpyramide eine Flasche mit den Ersteigungsdaten vor, die zweifellos von Poeschl stammte. Ißler wird von Barths führerloser und allein durchgeführter Ersteigung keine Kenntnis gehabt haben, so daß er vermeinte, der 3. Ersteiger gewesen zu sein. Er rückt somit an 4. Stelle.}
Von Berchtesgaden aus erblickt man zwischen den massigen Stöcken des Watzmann und Hochkalter noch einen kleinen Zackengipfel, von lichter Schartenenge durchbrochen; ein berggeübtes Auge wird in ihm alsbald einen weit zurückstehenden, daher trotz seiner anscheinenden Niedrigkeit wahrscheinlich ansehlichen Gipfel erkennen. Hat aber ein oder der andere kühne Felsenklimmer den schwindelnden Gang quer durch die Wände, die zum Hocheise niederstürzen, zurückgelegt, über die kurze noch übrige Strecke zahnigen Grats, die stellenweise so schmal sich zusammenzieht, dass sie überritten werden kann, zur Gipfelkuppe sich hinaufgearbeitet, deren Haupt aus einem einzigen, glattgescheuerten Felsklotze besteht, – dann steht er auf einer mächtig erhabenen, dominirenden Spitze allerdings, – aber mitten in der schroffen Kette, die weit gegen Osten noch sich fortzieht, zu neuen Gipfelgestalten sich emporbäumt. Zur Linken in der Tiefe das Hocheis – düstere Kessel, mit grauen, schuttüberronnenen Firnplanken; zur Rechten, tief unten am Fusse der Wände, die steinigen Bergweiden des Eiblbodens [Alpelboden]. Im Nordosten biegt der Hauptgebirgskamm sich herum, dort zieht er hinauf zu seiner höchsten Spitze, von welcher ein Meer von Schutt und Gries in's öde Hocheisthal hinunterfliesst; hinter dieser Zackenlinie liegt das Wimbachthal, jene Felskörper decken dem Auge Berchtesgaden und seine grünende Umgebung. Dort liegt die Hocheisspitze. – Der Gipfel aber, der das Kammerlinghorn [2484 m; westlicher Vorgipfel des Hochkammerlinghorns, 2506 m] beherrscht, der als zweiter Culminationspunkt in dieser Gruppe der Berchtesgadener Alpen auftritt und den Besuch Seitens des Bergwanderers in hohem Grade herausfordert, ist das Hochkammerlinghorn [2506 m] – so selten gleichwohl erreicht von den Gästen des Kammerlinghorns, als Watzmann-Besteiger den Gipfel des Grossen Watzmann betreten.
Das gegen Westen offene Halboval, in dessen Inneren die Firnen des Hocheises ruhen, zu vollenden, strahlt von der wahren Hocheisspitze gegen Nordwesten ein niedrigerer, äusserst scharfschneidiger Grat aus, eine dünne, dem Einbruche scheinbar nahe Felsenmauer, die gegen Norden in's Thal des Sulzenbachs [Sittersbach] niederstürzt; dann folgt als nächster Querkamm gegen Norden die Flammelschneid [Steintalschneid], auf diese das Steinthal, die Ofenthalschneid und des Ofenthal, und endlich das langgefurchte Gipfelmassiv des Hochkalter.
Letzterer steht mit der Hocheisspitze in direktem Gratzusammenhange*) und begrenzt mit ihr gemeinschaftlich das Wimbachthal im Westen; die genannten Seitenkämme bilden auf dem Hauptgrate zwei niedrige, aber scharfgezeichnete Gipfel; näher an der Hocheisspitze ist dieser Hauptgrat arg zerspalten und führt hier den Namen Wimbachschneid. Die engen, von den Zweigrücken seiner Westseite eingeschlossenen Thäler münden in's Thal des Hirschbichler Klausbaches [Hirschbichlklausgraben] und mit diesem gegen den Hintersee aus; sie bergen wenig Wald und Weide, aber Schutt und wüstes Trümmerwerk genug. An der Ostseite findet kein Relief der Gebirgsflanke Raum in den jäh abstürzenden Wänden, deren Fuss in die Geröllfluthen des Hinteren Wimbach taucht.
*) {Diese Anschauung Barths ist unrichtig; die Hocheisspitze steht nicht im Hauptkamme.}