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Home V. Auf den Gipfeln der Reitalm *) Aufstieg in's Kar zwischen dem Wagendrischel- und dem Grossen Häuselhorn Wie die Salzburger das Grosse Mühlsturzhorn ersteigen
 H. v. Barth: Aus den Nördlichen Kalkalpen (1874)
 I. Aus den Berchtesgadener Alpen
 V. Auf den Gipfeln der Reitalm *)

Das grosse Häuselhorn, – der wahre Culminationspunkt der Reitalm

Ich dagegen näherte mich fühlbar der culminirenden Höhe, bald hatte ich den Anschluss an die Gratschneide bewerkstelligt und verfolgte den schmalen Kammscheitel, welcher bereits den vollen Ausblick gegen Süden wie gegen Osten eröffnete, ohne sonderlichen Schwierigkeit, bis dass in nächste nähe des Gipfels eine scharfe Durchschartung mit Halt gebot. Ich stand auf dem südöstlichen Nebengipfel, mir gegenüber das Grosse Häuselhorn, Wandkluft zwischen mir und meinem Ziele. Ich hatte diese Spaltung des Gipfels vom Grossen Mühlsturzhorn [Stadelhorn] aus nicht beobachten können, da für dieses beide Köpfe in gerade Gesichtslinie zu liegen kommen. Zu allem Glücke jedoch war das nicht im Plane vorgesehene Hinterniss nicht von unüberwindlicher Art; ein kurzer Abstieg gegen Nord liess mich einen praktikablen Uebergang über die rothplattige Runse entdecken, noch ein paar Minuten über spärlich begrasten Trümmerboden hinan und der Gipfel des Grossen Häuselhorn, der Culminationspunkt des Reitalm-Stockes war gewonnen (ca. 7100' 2306 m.) *). Drei Stunden hatte der Anstieg von Reitertrett herauf gewährt.

*) Die Keil'sche Karte bestimmt das Häuselhorn zu 7013' 2278 m. [2284 m], das Grosse Mühlsturzhorn [Stadelhorn] zu 7059' 2293 m [2286 m]. Die relative Unrichtigkeit dieser beiden Angaben dürfte kaum in Zweifel gezogen werden können. Ich glaube den Fehler am wahrscheinlichsten in der Messung des Häuselhornes suchen zu müssen und lege daher meiner approximativen Schätzung die Messung des Grossen Mühlsturzhornes [Stadelhorn] als die richtig angenommene zu Grunde.

Ein schallender Jauchzer flog von meiner Gipfelhöhe hinüber zur welligen Hochfläche des Reiter Steinbergs, und das Fernglas richtete sich auf die dort weilende Berggesellschaft; sie standen still, und mehrstimmig tönte der Antwortruf herüber, aber so sehnsuchtsvoll matt war sein Klang, dass der Wunsch "Ach, wären wir doch auch schon oben!" dadurch nur zu deutlichen Ausdruck fand. Die Mühlsturzhornbesucher ihrem Schicksale vorläufig überlassend, beschäftigte ich mich mit dem gewaltigen Rundbilde, welches, im Westen und theilweise auch im Osten nach der gestrigen Besteigung des Weitschartenkopfes mir nicht mehr neu, nun auch im Süden bis an die fernsten Grenzen der Sichtbarkeit sich entwickelt hatte.

Über den grünen Bergwellen von Lofer und Weissbach, über den dunklen, weichgeformten Glimmerschiefergebirgen des Ober-Pinzgau steigt eisglänzend die Taurenkette [Hohe Tauern] auf mit der wohlbekannten Flachpyramide des Venediger, dem Doppelzacken des Grossglockner, der scharfgezeichneten Dreiecksspitze des Wiesbachhorn, an dessen Fusse der Blick bis in die innersten Thalgründe der Fusch hineindringt; im fernen Südwesten die Zillerthaler und Duxer [Tuxer] Ferner, näher heran die Loferer [und Leoganger] Steinberge, und zwischen ihnen und meinem Gipfel die alpenreichen Vorstufen des Reitalmgebirges gegen das Saalachthal, von mannigfach verzweigten Thälern und Schluchten durchschnitten. Westlich liegt das zweite Häuselhorn tief unter mir, sein Besuch erscheint nicht mehr als geboten; doch würde er augenscheinlich keine Schwierigkeiten bieten, und möchte vielleicht das Grosse Häuselhorn von jener Seite her mit geringerer Anstrengung zu gewinnen sein, als mein Weg mich gekostet.

Im Osten die mächtigsten Felsriesen des Berchtesgadener Landes, Göll, Watzmann, Hochkalter und Kammerlinghorn-Hocheisspitzgruppe mit ihrem von düstern, zerspaltenen Mauern umfangenen, gewaltigen Trümmerkessel, dem Hocheis; die tiefen Einschnitte zwischen diesen kahlen Bergcolossen ausfüllend die noch öderen, welligen Flächen des Steinernen Meeres und Haagengebirges, kühngeformte Zinnen aus ihren einförmigen Tafelscheiteln emportreibend, Kahlersberg, Teufelshörner, Funtenseetauren [Funtenseetauern] in seinem rothscheckigen Gewande, Schönfeldspitze mit dreizinkiger Krone, Hundstod, der breitschulterige, rundköpfige Bau. Mir zunächst im Südosten die aufeinandergedrängten, schroffen Kegel der Mühlsturzhörner, aus jüngstvergangenen Tagen mir wohlbekannt, an sie gereiht das sanftgeschwungene Wagendrischelhorn, an seinem nördlichen Fusse hingebreitet die Karrenfelder des Reiter Steinbergs.


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Letzte Aktualisierung am 25. April 2021

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