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Es war am 15. August 1868, als ich meine zweite Wanderung nach dem Scheitel der Reitalm antrat; diesmal auf der Strasse von Ramsau nach Schwarzbachwacht. Meine Excursionen in der Berchtesgadener Alpengruppe waren bereits zu einer leidlichen Vollständigkeit gediehen, nur Lücken blieben hier und dort noch auszufüllen. Zwei Wochen vorher war ich ebenfalls auf der Reitalm, und zwar auf den Mühlsturzhörnern gewesen*); man betrachtet diese gewöhnlich als die höchsten Gipfel der Reitalm. Mit nicht geringem Erstaunen hatte ich daher, auf dem Grossen Mühlsturzhorne [Stadelhorn] stehend, im Osten einen entschiedenen höheren Gipfel wahrgenommen und war darüber belehrt worden, diess sei das Grosse Häuselhorn. Dieses zu ersteigen war nunmehr mein Ziel und bei dieser Gelegenheit gedachte ich auch dem Wagendrischelhorn einen Besuch abzustatten, welches, wenngleich etwas herabgedrückt gegen seine Nachbarn, eines Besuches immerhin als werth erschien. –
*) Die Mühlsturzhörner sind in Berchtesgaden außerordentlich verrufen, man hört meist die Unersteiglichkeit, wenigstens eines derselben und zwar des höchsten, behaupten. Bei meiner damaligen Tour bediente ich mich der Führung eines gewissen Joseph Berger (vulgo der Seppel oder der Sagschneider genannt), dazumal Knecht beim Demirlingerwirth in der Ramsau, welcher sämmtliche Mühlsturzhörner zu kennen behauptete und sich in der That als vorzüglicher Steiger sowohl wie als Gebirgskundiger bewährte. Das Grosse Mühlsturz- oder Stadelhorn [Stadelhorn] verursacht wenig, das Mittlere [Kleines Mühlsturzhorn] nicht sehr bedeutende Schwierigkeiten. Dagegen zählen die beiden Grundübelhörner zu den schärfsten Klettertouren, die aus den Nördlichen Kalkalpen überhaupt mir bekannt sind. Sie dürften damals wohl auch zum erstenmale betreten worden sein, es sei denn, dass genannte Joseph Berger selbst sie früher erstiegen hätte, was ich jedoch aus verschiedenen Gründen bezweifle. Die Ersteigung geht aus dem Wagendrischelkar in der Rinne vor sich, welche die Körper des Spitzenpaares voneinander spaltet. Ich habe bei meinem späteren Besuche der Reitalm i.J. 1873 behufs Skizzirung der Mühlsturzhörner mir diese Felsen wieder betrachtet und muss gestehen, dass eine Wiederholung dieser Tour nicht eben zu meinen Privatvergnügungen zählen würde.
Mit diese Gipfelersteigung sollte zugleich eine Ueberwanderung des Reitalm-Plateaus verbunden werden, welches ich auf jener ersten Excursion nur von seinem Südostrande, – dem Edelweisslanner [Edelweißlahnerkopf], Kleinen und Grossen Schottmalhorn aus, kennen gelernt hatte**); daher wählte ich die Schwarzbachwacht zum Ausgangspunkt. Zwei Thalungen sind es, welche die Ostkante des Gebirges durchbrechen; sie werden geschieden durch die vortretende Felsmasse des Zirbeneck (5249' 1705 m. Keil) [1810 m], die südliche derselben ist in ihrer Mitte durch einen Steilabsturz unterbrochen, über welchen an geeigneter Stelle der Aufstieg durch ein paar hölzerne Leitern vermittelt wird; der ganze Thaleinschnitt hat davon den Namen Am Leiterl erhalten; seine Südschranke bildet der Eisberg (5248' 1705 m. Keil) [1800 m], der am weitesten östlich vorgeschobene Eckpunkt des Reitalm-Plateaus. – Durch die nördliche Thalung dagegen führt ein guter Alpweg auf die Hochfläche, zur Schwegelalpe hinauf. Ich wählte den letzteren, da dieser in geraderer Richtung meinem Abendziele, den Alpen am Reitertrett mich entgegen führte.
**) Ich stieg damals mit meinem Führer aus der Ramsau direct durch die Einsenkung zwischen dem Eisberg und dem Edelweisslanner an [Eisbergscharte], ein schlechter, schwer zu findender Pfad.
Nachmittägige Sommerschwüle geleitete meine Wanderung von Schwarzbachwacht in die tiefe Einbuchtung, welche den Ursprungskessel des Schwarzbaches unter der Passhöhe bildet. Schmale Wiesenplätze im Walddunkel beherbergen in ihm die oberen und unteren Schwarzbachalpen. Ein steiniger Viehtriebweg führt aus seinem Hintergrunde durch Wald und Buschwerk aufwärts zum ersten Absatze des ersten Berggehänges; sein vorspringender Rand erschien bis dahin als Ziel des Anstieges; nun aber eröffnet sich der Ausblick auf eine neue Bergstufe, an die rechte Seite tritt allmählig der kurz vorspringende Kamm des Bärenkareck, welcher in die Ostkante des Reitalm-Plateaus sich fortsetzt; links verschwindet, durch den Körper des Zirbeneck gedeckt, die buschige Thalung "Am Leiterl". Ein querer Seitenpfad führt durch dieses Gestrüppe hinüber, unmittelbar an die künstlich ersteigbar gemachte Wandstufe. – Auf enger Lichtung des Waldes, ein Grasplätzchen von grossen Steinblöcken überworfen, zeigt sich eine kleine Hütte, die Untere Schwegelalpe; wieder einmal das typische Bild einer Berchtesgadener Alpe, deren Nichtrentabilität man sehr leicht, weniger leicht aber begreift, wie auf ihr das Vieh überhaupt sich zu nähren vermöge.