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Der letzte Tagesschein leuchtete mir, während ich den steinigen Pfad im scharfen Trabe zum Gleirschthal hinunter verfolgte. Finstere Nacht umhüllte mich dort unten, doch nun leitete die breite Strasse meine Schritte zur gastlichen Behausung zurück. 9 Uhr war längst vorüber, als ich durch's Tannendunkel erleuchtete Fenster schimmern sah und der Weg in kurzem Bogen sich hinunterwandte zur Amtssäge.
Graf Sternberg war nach Scharnitz zurückgekehrt, aber der Jäger, der heute Morgen mir der Weg gezeigt, war zu Hause und sass am Feuer, nicht wenig besorgt ob meines langen Ausbleibens und von Herzen erfreut, mich wohlbehalten wieder zurückkehren zu sehen. Und als ich ihm berichtete, wie meine Tageswanderung verlaufen, als er zu hören bekam, dass ich den Grat vom Katzenkopf nach den Jägerkarspitzen gegangen, da starrte er mich an und schlug ein Kreuz. "Da gehen die Gems' nicht durch", sagte er, "allemal brechen sie aus in die Flecken!" – Ich wusste, warum. Hände haben eben die Gemsen nicht, und es gibt Dinge, zu welchen man Hände braucht. – Auch ich fühlte, dass ich zu viel gethan. – Auf der Lamsenspitze hatte ich den Gemsenjäger beschämt, am Falken von den Gemsen mir den Weg zeigen lassen, und heute war ich gegangen, wo selbst die Gemse umkehrt*). – Es war zu viel, zu arg. – Ich wünschte mir keine Steigerung mehr – ich habe auch keine mehr gefunden.
*) Natürlich soll damit nicht behaupt sein, dass die Gemsen diesen Weg nicht gehen könnten; ein gewagter Sprung von Zimmerlänge, wie man gesprengte Gemsen ja nicht selten solche machen sieht, könnte sie wohl an dem gefährlichen Platt vorbei und auf das jenseitige Geschröf bringen. Die Aussage des Jägers scheint aber nachzuweisen, dass die Gemsen die Schwierigkeit dieser Passage würdigend, ihr womöglich ausweichen, und das spricht hinlänglich für das Bedenkliche des Gratüberganges.