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Home Flur- und Bergnamen – ein Beitrag zur Kulturgeschichte und Volkskunde Aus dem Mittelalter; der Name "Karwendel"
 Was Karwendelnamen erzählen

Aus illyrischer, romanischer und germanischer Zeit

Die Straße, die schon zur Römerzeit den Westfuß des Gebirges umsäumte, lief damals und noch lange durch die Ödlandschaft eines riesigen Urwaldgürtels, der sich zwischen dem heutigen Leithen im Süden und Walgau [Wallgau] im Norden dehnte und von den frühesten Anwohnern des Gebirges, den Illyrern, den Namen Scharnitzwald, Scarantia, erhalten hatte, nach einem Wort skarantom, das heute noch in venetischen Mundarten "Stein" bedeutet. So abschreckend war diese Wildnis, daß man nur an ihrem Nord- und Südrand Spuren dauernder menschlicher Anwesenheit in römischer und vorrömischer Zeit entdecken kann. Vom Partenkirchner Becken, wo sich geschlossene Romanenansiedlung bis lange ins 7. Jahrhundert erhielt, wie der von der deutschen Lautverschiebung unberührte Namen Partanum (Partenkirchen) zeigt, strahlte romanische Wirtschaftsweise zum Norden des Karwendels herüber, wo ja auch der Ortsnamen Walgau [Wallgau] unbestreitbar für langes Fortleben der "Walchen" zeugt.

Südlich davon biegt die Isar vor einem Seitenbach in scharfem Flußknie nach links aus, eine tiefe Bucht in den Uferhang schneidend; "Am Isarhorn" wird es heute genannt und daneben seit alter Zeit "Im Seins" (Anichs Karte hat ein gleich zu sprechendes "Zeunsbruck") zweifellos vom romanischen sinu (mit Ortsnamenendung -s) Busen, Bucht (vgl. Beseno, bi-sinu, Doppelbucht bei Trient). Die lichten Auenwälder mochten hier zur Weide einladen, wie der schüttere, von Lawinen gelichtete Wald auf dem Sattel von Ferein (1536 Verrein, verballhorn zu Verreins, zuim ladinischen feréina "Muhr" oder mont verrina "Ebersberg"). Als romanisches Überlebsel muß wohl auch ein bisher unerklärtes fihrout als Bezeichnung für "Viehtrieb" in einer Urkunde aus Walgau von 1260 angesehen werden, das sich noch als Flurname "Viehruete" in der nahverwandten unteren Leutasch lebend vorfindet und auf romanisch rota "Weg" (Du Cange) zurückgeht, das erst im 9. Jahrhundert eingedeutscht wurde (vgl. Familiennamen Fürrutter!).

Die nächsten romanischen Namen begegnen uns erst wieder auf der Inntalseite des Gebirges, dort, wo zugleich die ältesten deutschen Namen Tirols vorkommen, um Zirl. Kein Zufall, daß sich vor der Ausmündung der im Altertum und Mittelalter meistbenützten Paßstraße nach Tirol ein Rest jener alten -ing-Orte (von Hötting bis Haiming) breitet, die in die baiwarische Landnahmezeit zurückreichen, hat doch der alte Römerweg die ersten germanischen Siedlerscharen ins Herz von Tirol geführt!

An Alter reiht sich unter diese Orte Zirl, dessen Name aus dem römischen Teriolis (Martinsbichl) in germanischem Mund durch die Lautverschiebung zu Cyreolu, Zirala umgeformt war. Wo nun die Zirler Almsiedlung seit alters ins Gebirgs hineingreift, da zeigen Flurnamen den Weg, die zwar auf vordeutsche Bevölkerung, aber auch auf eine ihnen folgende uralte deutsche Siedlung weisen. Der Bach, der in dieses Almgebiet führt, der Jenbach, auch Eahnbach gesprochen, trägt, wenn er nicht auf einen Germanen Unono weist, einen vordeutschen Namen, der sich von dem bekannteren Jenbach im Unterinntal (urk. Üenbach) und dem Eahnbach, der dem Imbachhorn bei Zell am See den Namen gab (1416 Müenbach), nicht trennen läßt, vielmehr mit ihnen auf dieselbe illyrische Wurzel zurückzugehen scheint wie der Pustertaler Namen Onach, mundartlich Uina (Anay, Onai 1300). Die anschließenden Flurnamen "Mahrn" und "die Pleiner" erinnern an romanisch mara "Muhre" oder maceria "Steintrümmer" und an romanisch plagina "Halde", während sich im Jaufeneggtal (am Heechenberg) das romanische juvum "Bergjoch" in altdeutscher Einkleidung erhielt, nach dem 8. Jahrhundert eingedeutscht, würde es heute Tschaufen gesprochen.

Frühzeitig auch muß der nur schütter bewaldete Sattel von Eerl zur Almweide benützt worden sein, denn der Name, mundartlich earl, der mit "Erle" keinesfalls zusammengebracht werden kann, wurde ihm von vordeutscher Bevölkerung (aus der gleichen Wurzel wie "Aurina" in den Dolomiten und Ahrntal) gegeben, und über ihn hinweg durch das 1509 genannte "Oerltal" dran der Fuß des Entdeckers mühelos ins Nachbartal, wo sich in der Folge auf ahornbestandenem Talgrund des Almdorf von Kristen (Zirler Kristen) breitete. Auch die frühesten germanischen Siedler von Zirl müssen im Gefolge romanischer Wirtschaftsweise früh ins Herz des Gebirges gedrungen sein (vgl. "Mitteilungen" 1930, S. 232, "Von Zemm und Tux"), sonst wäre nicht der romanische Ortsname Crista ähnlich wie der Ortsname Teriolis durch die deutsche Lautverschiebung noch umgewandelt worden.

Ebenso hieß der Zirl gegenüberliegende langgestreckte Hügelkamm, in dem die Mittelgebirgsterrasse ausläuft, einst crista und wurde im germanischen Mund Kristen genannt, eine spätere Übernahme hätte Gresten ergeben. Als noch in dem einsamen Almtal germanische und romanischen Laute nebeneinander erklangen, haben sich die Siedler deutschen Stammes das fremde Wort verdolmetscht, denn kaum zufälligerweise heißt der von Felsrippen durchzogene Rücken zwischen Groß- und Klein-Kristen "Auf den Kämpen"! In der Nachbarschaft solch alter Siedlungszeugen ist es auch nicht zu gewagt, den Namen des Weiderückens über der Kristenalm Hipp oder Hippen auf die uns nicht mehr geläufige, weit kraftvollere Sprachumgestaltung jener deutschen Frühzeit zurückzuführen und ihn als eine j-Ableitung "Hüppen" zu dem in oberdeutschem Hubel, Hübel (auch Hüppel) steckenden Stamm hub = hoch, "erhaben" zu betrachten. Talauswärts, am Gleirschbach, stieß übrigens schon damals das Zirler Gemärk an das Almgebiet der Leute von "Arcelle" (Arzeler Kristen) und damit an den viel später eingedeutschten Siedlungsraum östlich von Innsbruck, dessen Namen (Gleirsch) in einen anderen Zusammenhang gehören.


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Letzte Aktualisierung am 25. April 2021

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