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Ich stieg hinunter in den ersten Weidekessel und jenseits zum zweiten, dem eigentlich wasserscheidenden Bergrücken, wieder empor; denn abermals hinab und quer durch die Trümmerschütten. Finsterniss deckte die Gebirge, 1/4 nach 8 Uhr stand ich am Fusse des eigentlichen Gatterl, die schwierigste Strecke dieser Wanderung. Denn hier schlängelt sich der Pfad nur einige Fusse breit an der Wand hinan und eine Abzweigung desselben führt hinunter zum Grunde des Trauchlet. Ich hatte auch einmal die Spur verloren, fand sie indessen bald wieder. Tritt um Tritt sorgsam sondirend sah ich bald die wohlbekannten Zacken, welche das Gatterl umstehen, aus dem nächtlichen Dunkel sich herausheben; in das Felsenthor einbiegend und den Schafzaun überschreitend sah ich die unbestimmt durch die Finsterniss schimmernde Fläche des Platts und seines Ferners vor mir ausgebreitet und jenseits die schwarze Gratlinie des Rainthaler Kammes mit ihren gigantischen Zinnen in den Sternenhimmel hineinragen. Ob sie mich sieht, die Höllenthalspitze? ob sie unerwartet, mit Schrecken mich morgen so nahe ihrem Fusse erblicken wird? – Ich sehe sie wohl. Morgen zum Opfer mir bestimmt, muss sie heute noch als Meilenzeiger mir dienen. Ihr Gipfel weist mir die Richtungslinie nach meinem Nachtlager, der Knorrhütte.
Die stielen Windungen des Pfades vom Gatterl hinunter in's Platt, zwischen den haushöhen Blöcken hindurch, ging die Wanderung noch sehr unbequem und langsam von Statten; einen eigenthümlichen Eindruck erregte es mir, den Fuss just immer da hinzusetzen, wo die schwärzeste Nacht war, – auch nicht die Spur von einem Boden dem forschenden Blicke sich zeigte. Denn dort wusste ich ja die Graspäcke, während heller Schimmer des Bodens mir blanken Fels verrieth. Bald war ich mitten im Platt, Hügel auf Hügel, quer durch all' die Klüfte, Risse und Spalten, zuweilen mit einigem Stolpern, aber doch ohne grösseren Unfall. Die Pupille des Auges dehnte sich allmählig auf's Weitestmögliche aus und auf 6-8 Schritte umher vermochte ich die Gegenstände zu unterscheiden – ob Gras, ob Fels – zuweilen ein Krummholzstrauch, welcher sofort das Signal zu schwacher Linksschwenkung gab. Die schwarzen Kolosse im Norden sah ich langsam mir näher rücken, ihre Körper deckten höher und höher hinauf das Firmament. In meinem Rücken stiegen die runden Kegel der Gatterlköpfe, des Wetterschrofen empor. Breiter thaten die Thäler im felsigen Hügellande vor meinen Füssen taten sich auf, und eine unergründbar schwarze Tiefe öffnete sich zuletzt vor meinen Tritten. Ich stand am Brunnthal, stieg vorsichtig hinunter über seine eindämmende Mauer und kreuzte die trockene Thalsohle, starrend von zerhackten, ausgespülten Plattenscherben. Dann wieder aufwärts – ich hielt mich nun entschiedener links, um nicht an die Steilhänge unterhalb der Knorrhütte zu gerathen. Erst als ich die Hügelkuppen breiter und zusammenhängender sich aufwärts dehnen sah – oder vielmehr in ihrer Ersteigung dieses fühlte – lenkte ich wieder rechts ab, dem äussersten der Brunnthalköpfe entgegen, der gross und schwarz an meine Seite getreten war. Bald schlug das Murmeln des "Guten Wassers" an mein Ohr, mit wenigen Schritten stand ich um 9 Uhr 45 Min. an der Thüre des gastlichen Häuschens. Wer's nicht genau gekannt, hätte es wohl für einen Steinblock halten mögen, denen gleich, die es umlagern und seine Schutzwehr bilden gegen fernere Trümmerlawinen. Ich trat ein, und machte Licht; ein Stümpchen der Kerze, die ich ein paar Wochen vorher, bei meiner zweiten Zugspitz-Tour, hieher gebracht und zu Nutz und Frommen Nachfolgender zurückgelassen, fand sich noch vor und diente mir selbst wieder zur Erhellung des einsamen Raumes. Einsam war er – zum Glück; die Möglichkeit, wieder Gäste hier oben zu treffen und eine Nacht wie die vom 22. auf den 23. August zu verbringen, wo 22 Personen die Knorrhütte belagerten, war die grösste Sorge gewesen, die auf meiner nächtlichen Wanderung über das Gatterl mich begleitet hatte. Doch sie verwirklichte sich nicht, – ich war allein. Kaffee wurde gekocht, dann streckte ich mich auf's Strohlager. Gute Nacht!